Pünktlich zum Start der neuen Staffel der VOX-Gründershow „Die Höhle der Löwen“ haben wir mit einer echten Insiderin gesprochen: Schon seit der 5. Staffel ist Ruth Cremer hinter den Kulissen als Beraterin dabei – immer unter dem Motto: „Numbers are sexy“! Sie hat Mathematik an der RWTH Aachen studiert und zunächst als Projektmanagerin gearbeitet, bevor sie sich als Beraterin für öffentliche Fördermittel 2013 selbstständig machte. 2015 unterbrach sie die Selbstständigkeit und arbeitete als Investment Managerin für IT-Startups beim High-Tech Gründerfonds (HTGF). Seit 2017 berät sie nun wieder große und kleine Unternehmen mit Fokus auf Business Model Optimierung, Finanzplanung und Finanzierungsfragen. Mit diesen Themen ist sie auch international als Speaker unterwegs.
Frau Cremer, wie kam es dazu, dass Sie Startups beraten?
Das ist eine recht lange Geschichte: Alles fing damit an, dass mich ein guter Freund zu einem Gründerstammtisch “geschleppt” hat; er hatte wohl irgendwie im Gefühl, dass das was für mich wäre… Ein paar Monate später hätte ich auch fast gegründet, allerdings ist dann das Team auseinandergefallen und ich hab eine Doktorandenstelle begonnen, wo ich auch viel mit der Beantragung und Durchführung von öffentlich geförderten Projekten zu tun hatte. Parallel hab ich mich aber weiter in der Startup-Szene engagiert. Als ich dann gemerkt habe, dass die doch sehr altmodischen und partriarchalisch-hierarchischen Strukturen meiner aktuellen Arbeitsumgebung nicht zu mir passten, kam mir die Idee, mein Wissen über öffentliche Fördermittel zu nutzen, um Startups und KMU Geld zu besorgen. Damit startete ich meine erste Selbstständigkeit.
Wie erleben Sie Ihre eigene Selbstständigkeit, vor allem im Vergleich zu den vorherigen festen Anstellungen?
Ich bin ein extrem freiheitsliebender Mensch, von daher auch einfach nicht als Arbeitnehmer geeignet. Zum Beispiel bin ich ein extremer Nachtmensch, kann um 1 Uhr noch sehr produktiv arbeiten, aber nicht um 8 Uhr morgens (zumindest nicht dauerhaft). Ich bin manchmal unglaublich produktiv in wenigen Stunden und manchmal brauche ich einfach eine “schöpferische Pause”. Das alles wird von kaum einem Arbeitgeber toleriert, in die Schablone zu passen ist nach meiner Erfahrung leider oft wichtiger als hochwertige und produktive Arbeit. Ich bin aber nur wirklich gut, wenn ich komplett nach meinen eigenen Regeln leben und arbeiten kann. Welch das sind, habe ich aber auch erst noch herausfinden müssen, das wäre mir als Angestellte wohl nie gelungen.
Was waren für Sie die größten Herausforderungen in der Selbstständigkeit?
Anfangs die Unsicherheit, da eben plötzlich nicht mehr jeden Monat automatisch Geld aufs Konto kam. Dann mich selbst wirklich kennen zu lernen, um zu verstehen, wie ich wirklich die besten Ergebnisse für meine Kunden erziele. Im Moment ist es das Selbstmarketing: Ich habe immer noch Hemmungen, zu sagen: “Seht mal her, das kann ich richtig gut, hierbei kann ich Euch helfen” und mit den richtigen Mitteln auf mich und mein Angebot aufmerksam zu machen. Ich weiß aber, dass das zum nächsten Schritt meiner beruflichen Entwicklung dazugehört und arbeite da gerade stark an mir 😉
Wie kam es zur Mitarbeit bei der „Höhle der Löwen“ und was ist dort genau Ihre Aufgabe?
Über eine Empfehlung, als ein neuer Berater ab der 5. Staffel gesucht wurde. Ich schaue mir im Casting-Prozess die Startups an, schaue, ob sie “investierbar” sind. Hier kommen vor allem gesellschaftsrechtliche Themen und Fragen zur Finanzierungsstruktur und zum Cap-Table auf. Ich spreche dann mit den Kandidaten, schaue, ob sie ihre Zahlen drauf haben und versuche, abzuschätzen, wo Stärken und Schwächen liegen und Hinweise für eine bessere Vorbereitung zu geben. Auch zur Bewertung gebe ich Feedback.
Worauf sollten Startups achten, die sich bei DHDL bewerben?
Die meisten machen sich zu viele Sorgen, dass sie “nicht weit genug” sind. Aber in ein fertiges Unternehmen, das komplett rund läuft, braucht ja normalerweise niemand mehr zu investieren. Viel wichtiger finde ich, dass der Fall, als der man sich darstellt, “rund” ist. Also dass man genau erklären kann, in welcher Phase man sich befindet, was man mit dem Geld machen will und wo es einen hinbringen soll. Da es sich außerdem nicht um reine Finanzinvestoren handelt, sollte man sich mit den Investoren beschäftigen und überlegen, wer welchen zusätzlichen Wert für das eigene Business mitbringt. Diesen zusätzlichen Wert muss man dann eben auch bei der Bewertung berücksichtigen. Generell sollte man sich nicht so sehr an der Idee festkrallen, dass die Bewertung widerspiegelt, was das Unternehmen tatsächlich wert ist, denn sie sagt ja auch etwas über den Wert des Investors für das Unternehmen aus.
Wie bei anderen Investoren auch muss man als Unternehmer außerdem seine Zahlen gut drauf haben. In der Sendung gibt es aber nochmal die Besonderheit, dass man sein Geschäftsmodell und seine Planung nicht anhand einer Tabellenkalkulation oder sonstiger Unterlagen erklären kann. Man muss sich also auf die Kennzahlen konzentrieren, die am meisten aussagen und auch überlegen, welche besonders gut die ersten Erfolge widerspiegeln. Das ist aber generell eine gute Übung für jeden Gründer, viele tun sich aber hier schwer und klammern sich z.B. ausschließlich an den Umsatz.
Was ist bei DHDL echt, was ist „fake“?
Nichts ist “fake”. Die Investoren kennen die Gründer vorher tatsächlich nicht, bekommen keine Informationen über sie. Die Verhandlung wird nur gefilmt, es wird nicht eingegriffen und auch die Gründer dürfen natürlich alles zur Sprache bringen, was ihnen wichtig ist.
Was sind für Sie die spannendsten Themen im Umgang mit Gründern?
Es ist die Vielseitigkeit, die mich begeistert. Besonders in frühen Phasen muss man unheimlich breit aufgestellt sein, um Gründern wirklich helfen zu können. Und generell auch einfach die Leidenschaft und Energie, die fast allen Gründern zu Eigen ist: sie brennen für ihr Vorhaben, wollen oft auch etwas verändern oder bewegen. Es gibt immer mehr Gründungen mit einem Nachhaltigkeitsaspekt oder sozialen Gedanken, und diese Motivation, etwas zum Guten verändern zu wollen, steckt extrem an. Es ist ein tolles Gefühl, Teil davon sein zu dürfen. Auch den Grad der Begeisterung und Freude an der eigenen Arbeit kann man überhaupt nicht vergleichen mit dem in großen Unternehmen, das sind verschiedene Welten.
Welche typischen Fehler machen Gründer immer wieder – und wie lassen sie sich vermeiden?
Viele können mit dem massiven Input nicht umgehen, den man bekommt, wenn man seine Idee oder sein Produkt Menschen vorstellt. Manche lassen sich von schlechtem Feedback entmutigen, manche wollen aufgeben, wenn sie auf den ersten Konkurrenten stoßen, und wieder andere sind so überzeugt von sich, dass sie gar kein Feedback annehmen. Es ist eine Gratwanderung, genau das richtige Maß an Selbstbewusstsein und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten aber auch an Offenheit und Kritikfähigkeit zu haben bzw. zu entwickeln. Gründen hat daher für mich auch viel mit Persönlichkeitsentwicklung zu tun. Generell die Flut an Themen und Informationen zu bewältigen, mit denen man sich als Gründer beschäftigen muss, und dann am besten noch irgendwie ein Privatleben zu erhalten und ab und an neue Kraft zu schöpfen, ist ebenfalls eine riesige Herausforderung.
Beraten Sie nur Startups oder auch traditionelle Gründungen und Kleinunternehmen?
Tatsächlich berate ich größtenteils Startups oder innovative Projekte, auch Ausgründungen, von größeren Unternehmen oder öffentlichen Organisationen. Ich bin auch immer mal für die Investorenseite oder in M&A-Prozessen für potenzielle Käufer tätig. Sehr viel Freude macht mir auch der Aufbau neuer Netzwerk-Akteure wie z.B. Acceleratoren oder Kompetenz- und Innovationscenter.
Was möchten Sie Gründerinnen und Gründern allgemein mit auf den Weg geben?
Nehmt Euch genug Zeit, Euer Geschäftsmodell zu schärfen und Euch über Eure Erfolgsmetriken klar zu werden. “Lean Startup” bedeutet nicht, einfach irgendwas auf den Markt zu schmeißen und zu gucken was passiert. Es bedeutet, explizite Kennzahlenmodelle aufzustellen und zu überprüfen. Es ist absolut essentiell, seine Zahlen im Griff zu haben, ganz besonders, wenn es einmal nicht so gut läuft, denn nur dann kann man sinnvoll analysieren, woran es liegt und was man dagegen tun kann. Hat man diese Hausaufgaben gemacht, darf man jedoch auch sein Bauchgefühl nicht ignorieren, wenn es sich meldet.
Vielen Dank für das ausführliche Interview und viel Spaß mit den nächsten Kandidaten bei der Höhle der Löwen!
Ruth Cremer findet ihr im Web auf folgenden Kanälen:
https://www.facebook.com/numbersaresexy.de